Forscher sind seit langem fasziniert von der außergewöhnlich hohen Lebenserwartung der Bewohner der japanischen Inselgruppe Okinawa, die ethnisch vielfältig sind und sich kulturell vom übrigen Japan unterscheiden. Historisch gesehen nannten die Japaner Okinawa „das Land der Unsterblichen“, da die Menschen dort die bemerkenswerte Fähigkeit besitzen, über 80 Jahre alt zu werden. 

Studien aus den frühen 2000er Jahren führten die besonders hohe Lebenserwartung der Okinawaner auf ihren erhöhten Konsum von Fisch, Soja, Algen und Grüngemüse zurück. Als die Forscher jedoch tiefer in die Materie eintauchten, eröffneten ihnen die neuen Erkenntnisse neue Perspektiven für Gesundheit und Lebenserwartung. Eine dieser neuen Erkenntnisse war, dass die Ernährung in Okinawa reich an der Aminosäure L-Serin ist.

Neben ihrer Fähigkeit, die Immunfunktion zu stärken, einen regelmäßigen Schlaf zu fördern und Menschen mit chronischem Erschöpfungssyndrom zu helfen, spielt sie auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Gehirns und beim Schutz der Nerven. Insbesondere diese Nährstoffe verleihen der okinawanischen oder Ogimi-Diät ihre lebensverlängernde Kraft. 

Die durchschnittliche Lebenserwartung in Okinawa liegt bei über 83 Jahren und damit deutlich höher als im Rest der Welt. Und auch wenn die Industrieländer diesen Durchschnittswert fast erreicht haben, haben Europa, Russland, China und die Vereinigten Staaten noch einen weiten Weg vor sich. Lesen Sie also weiter, denn es gibt noch viel mehr über diesen Nährstoff zu erfahren, der Ihnen helfen kann, ein gesünderes Leben zu führen. 

Was ist L-Serin?

L-Serin ist eine der wichtigsten Aminosäuren für das Überleben und das Wachstum des Körpers und wird auch als „semi-essentielle Aminosäure“ bezeichnet. L-Serin ist an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt, wie z. B. der Bildung von Proteinen, Lipiden, Nukleinsäuren, der Synthese von Neurotransmittern (wie Serotonin) sowie der Produktion anderer Aminosäuren. L-Serin ist für die Produktion von Phosphatidylserin, einem Phospholipid und integralen Bestandteil der Zellmembranen, unerlässlich.

Auch wenn es nicht zu den neun essentiellen Aminosäuren gehört, die der menschliche Körper nicht selbst synthetisieren kann, ist L-Serin unter bestimmten Umständen äußerst wichtig. So kann beispielsweise bei Diabetes oder neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer die körpereigene Produktion von L-Serin nicht mit dem Bedarf des Körpers an diesem Nährstoff Schritt halten. Somit wird eine L-Serin-Supplementierung notwendig; daher ist der Begriff „semi-essentiell“ angemessen.

Erfreulicherweise werden Serin und viele seiner Metaboliten derzeit als Therapie für Diabetes, verschiedene Nierenerkrankungen, Hirnverletzungen und ein breites Spektrum neurologischer und psychiatrischer Leiden untersucht. Hier sind einige der interessantesten positiven Auswirkungen von L-Serin auf die Gesundheit. 

Nutzen für die Gesundheit

L-Serin kann dazu beitragen, die Gehirngesundheit zu fördern und die kognitiven Funktionen zu verbessern. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass L-Serin Entzündungen im Gehirn hemmt, bei der Wiederherstellung der geistigen Funktionen im Krankheitsfall hilft, die Durchblutung des Gehirns verbessert, die Remyelinisierung (eine Isolierschicht um die Neuronen) fördert und als neurotropher Faktor dient – ein Protein, das das Wachstum und das Überleben der Neuronen fördert. 

Ebenso verhindert L-Serin die Neurotoxizität von Glutamat – einem Neurotransmitter, der bei einem Überschuss Schäden an den Zellbestandteilen verursacht und zum Absterben von Neuronen führt – bei Hirnverletzungen wie Ischämie (Minderdurchblutung), Gehirntraumata oder -blutungen. 

Leider kommt es mit zunehmendem Alter zu einem Rückgang des D-Serin-Spiegels im Gehirn (der mit dem L-Serin verwandt ist) und zu einer Untererregung der NMDA-Rezeptoren, was zu einer Verschlechterung der Gehirnleistung und zu Gedächtnisverlust führt. So kann D-Serin Studien zufolge auch zum Schutz vor altersbedingtem geistigen Verfall und Gedächtnisverlust beitragen. Jüngste Forschungsergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass D-Serin als Zusatztherapie bei der Behandlung von Depressionen und Schizophrenie dienen und zur Reduzierung des kognitiven Verfalls beitragen könnte. 

Darüber hinaus ist L-Serin notwendig für die Synthese einer Substanz namens Phosphatidylserin, die für zahlreiche Funktionen wie Zellschutz, Nervenübertragung und Gedächtnisbildung eine entscheidende Rolle spielt. Die Forschung lässt vermuten, dass Phosphatidylserin die kognitiven Funktionen verbessert, Entzündungen im Gehirn vermindert und Krankheiten wie Alzheimer und psychiatrischen Leiden wie Depressionen und Schizophrenie vorbeugt. Daher könnte L-Serin eine weitaus bedeutendere Rolle für die Gehirngesundheit spielen als bisher angenommen. 

 Erkrankungen des Gehirns wie z. B. Alzheimer und psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen oder sogar Schizophrenie sind weit verbreitet. Die Alzheimer-Krankheit beispielsweise ist inzwischen die vierthäufigste Todesursache in den Vereinigten Staaten, und laut Centers for Disease Control and Prevention (CDC, Zentren für Gesundheitskontrolle und Prävention) leiden bis zu 6,5 Millionen Amerikaner an dieser Erkrankung. Schätzungen zufolge sind weltweit bis zu 50 Millionen Menschen davon betroffen.

Aus diesem Grund wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Ursachen von psychischen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Schizophrenie zu ergründen. Jüngste Forschungsergebnisse sprechen dafür, dass der L-Serin-Stoffwechsel unter anderem auch bei neurodegenerativen und psychiatrischen Erkrankungen eine Rolle spielen könnte. 

Eine in der Zeitschrift Cell Metabolism veröffentlichte Studie ergab, dass eine gestörte L-Serin-Produktion in den Gehirnzellen, die das Gedächtnis unterstützen (Astrozyten des Hippocampus), zu kognitiven Defiziten bei Alzheimer beitragen könnte. Darüber hinaus deutet eine Laborstudie aus dem Jahr 2021 darauf hin, dass L-Serin neuroprotektive Wirkungen gegen die Alzheimer-Krankheit haben könnte, indem es die Zerstörung der für Alzheimer charakteristischen schädlichen Proteine fördert. Ähnliche Ergebnisse beobachteten die Forscher auch bei Labormäusen mit Parkinson, einer Erkrankung des Gehirns, die durch den Verlust bestimmter Neuronen verursacht wird und sich in ungewollten oder unkontrollierbaren Bewegungen äußert. 

Diese Behauptungen werden auch durch Studien am Menschen gestützt, die die Sicherheit und Verträglichkeit von L-Serin belegen. So hat die Phase-I-Studie mit 20 Patienten mit ALS (amyotrophe Lateralsklerose oder Lou-Gehrig-Krankheit) gezeigt, dass die orale Einnahme von L-Serin das Fortschreiten der Krankheit zu verringern scheint. Einer Studie aus dem Jahr 2021 zufolge könnte L-Serin auch gegen Schizophrenie und andere neurodegenerative Erkrankungen wirksam sein. Die Forschung über die schützende Rolle von L-Serin gegen Alzheimer ist noch nicht abgeschlossen, und die Ergebnisse scheinen vielversprechend. Um objektive Aussagen machen zu können, sind jedoch große klinische Studien erforderlich. 

Nutzen bei Fibromyalgie und Fatigue-Syndrom

FFibromyalgie ist eine chronische Erkrankung, die Schmerzen und Empfindlichkeit im ganzen Körper verursacht, begleitet von Müdigkeit, Schlafstörungen, Gedächtnisproblemen und Stimmungsschwankungen. Forschungsergebnisse deuten auf einen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Serotoninspiegel im Körper und dem Fibromyalgiesyndrom hin. Fibromyalgie wird auch mit einem veränderten Darmmikrobiom in Verbindung gebracht, das eine mitochondriale Dysfunktion verursachen kann. Serotonin, das ebenfalls im Darm gebildet wird, ist einer der wichtigsten Neurotransmitter im Nervensystem und beeinflusst die Stimmung, die Verdauung, den Schlaf und vieles mehr. 

Serotonin benötigt für seine Synthese Tryptophan, eine essentielle Aminosäure. Darüber hinaus kann der Körper Tryptophan nicht nur aus der Nahrung aufnehmen, sondern auch aus L-Serin herstellen. So kann ein erhöhter L-Serin-Konsum die Tryptophan-Synthese und die anschließende Produktion von Serotonin ankurbeln, was die Stimmung, den Schlaf und das Gedächtnis verbessert, aber laut Studien auch bei der Bewältigung von Fibromyalgiesymptomen helfen kann.

Förderung des Schlafs

Schlafmangel ist nach wie vor ein großes Gesundheitsproblem in den Vereinigten Staaten. Daten deuten darauf hin, dass einer von drei Menschen in den USA und fast ebenso viele in anderen Ländern nicht genug Schlaf bekommen. 

Die gute Nachricht ist jedoch, dass die Einnahme von L-Serin bei Schlafstörungen hilft und die Schlafqualität verbessert. So zeigte eine japanische Studie aus dem Jahr 2014, dass die Einnahme von L-Serin vor dem Schlafengehen in der Studiengruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe „die Häufigkeit des nächtlichen Aufwachens“ verringerte. Zudem stellte eine andere Studie fest, dass die Einnahme von L-Serin vor dem Schlafengehen zu einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus beiträgt. 

Nutzen für die Herzgesundheit

Leider sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen inzwischen die häufigste Todesursache weltweit, auch in den Vereinigten Staaten. Doch nur die wenigsten Menschen sind sich ihrer Erkrankung bewusst, bevor sie Symptome entwickeln. Vorbeugende Maßnahmen sind daher nach wie vor die wirksamste Möglichkeit, das Risiko zu verringern und ein gesundes Leben zu führen. L-Serin hat möglicherweise eine schützende Wirkung gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So wies eine Laborstudie aus dem Jahr 2008 nach, dass die Supplementierung von L-Serin den Blutdruck deutlich senkt, indem es die Übertragung von Nervenimpulsen in Herz und Blutgefäßen reguliert. 

In einer anderen Studie gelangte man zu dem Ergebnis, dass L-Serin antioxidative Eigenschaften hat und die Endothelzellen – die Innenauskleidung von Blut- und Lymphgefäßen sowie des Herzens – schützt. Bevor Ärzte L-Serin zur Vorbeugung von Herzerkrankungen empfehlen, sind jedoch weitere Studien erforderlich. 

Nutzen für die Blutzuckerregulierung

Fettleibigkeit hat sich zu einer weltweiten Pandemie entwickelt, und auch die Zahl der Diabetesfälle steigt stetig an. Die Forschung konnte einen Zusammenhang zwischen Diabetes und einem gestörten Serinstoffwechsel im Körper herstellen. Laut einer Tierstudie aus dem Jahr 2018 könnte eine L-Serin-Supplementierung einen neuen therapeutischen Weg zur Verbesserung der Blutzuckerregulierung bieten. Darüber hinaus kann der Verzehr von L-Serin Studien zufolge auch diabetischen Komplikationen vorbeugen, insbesondere der diabetischen Neuropathie, einer Art von Nervenschädigung, die durch erhöhten Blutzucker verursacht wird.

Fazit

Die Forschung hat festgestellt, dass L-Serin in Studien mit Menschen und Tieren sicher und gut verträglich ist. Allerdings können L-Serin-Präparate bei manchen Menschen zu Magenverstimmung, Blähungen oder Verstopfung führen..  

Die beste Art, den L-Serin-Spiegel im Körper zu erhöhen, ist der Verzehr von Lebensmitteln, die reich an diesem Nährstoff sind. Wenn Sie jedoch einen Schritt weiter gehen wollen, sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Gesundheitsdienstleister über den Beginn einer Supplementierung mit L-Serin.

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